Bei den Südtirolern Bergbauern gab kein Ereignis im Gemeinschaftsleben, bei dem nicht auch Getreide und Brot eine Rolle spielten. Brot und Wasser bedeuteten seit jeher Leben im Alltag der Südtiroler Bergbauern, die das Rückgrat der Südtiroler Kultur und Gesellschaft bilden.
Landestypische Brotsorten entwickelten sich über Jahrhunderte und wurden zum Spiegelbild der Unterschiedlichkeiten in den einzelnen Landesteilen. Historisch gewachsen sind in Südtirol nur drei Grundformen: Das Vinschgauer Paarl, das Bauernpreatl und das Ultner Pidl.
- Das Paarl besteht aus zwei zusammengefügten kleinen Laiben und ist im Westen Südtirols, im Vinschgau, beheimatet. Das Preatl ist ein runder, flacher Laib und stammt aus dem Osten Südtirols, dem Pustertal.
- Das Pidl ist im Ultental beheimatet und besteht aus drei Teigpatzen; im Eisacktal heißt es Dreierle.
Sagen auch diese Formen etwas über den Menschenschlag des Südtirolers aus? Siegfried de Rachewiltz, Volkskundler und Spurensucher Südtiroler Bergbauerntraditionen, umschreibt es so: „Das Paarl ist ein doppeltes Preatl, das Pidl ein dreifaches; und dennoch ist das Preatl das größte und schwerste von allen dreien. Und ein Pusterer Bäcker sagte auf die Frage, warum die Form des Preatl eine so einfache sei: „Warum sollen wir es kompliziert machen, wenn es auch einfach geht.“
Findet sich in der Formgebung des Brots die psychologische Dimension der Vinschger, der Ultner und der Pusterer? Das Leben des Bergbauern war hart, von Entsagungen geprägt, von täglicher Schinderei bestimmt. Die Ehrfurcht vor der Fruchtbarkeit der Erde gipfelte in deren Mythisierung und Behaftung mit Symbolen. Der Roggen etwa verdient die höchste Achtung. Er ist das landestypische Getreide des Südtiroler Brots und symbolisiert die männliche Welt und somit den Bauern selbst. Der Weizen hingegen wird dem Weiblichen zugedeutet. Es hieß: „Der Rogge isch firs Proat, der Woaze fir die Kuch“. Für den Bergbauern von einst war Weizenbrot etwas Außergewöhnliches, etwas für die Feststage, was sich in feierlichen Festgebäcken niederschlug. Es war aber auch das Brot für die Kranken und Zerbrechlichen. Das galt allerdings nur für die Bergbevölkerung. In den Städten war das Weizenbrot seit jeher bekannt. Und so ist es auch zu verstehen, dass hier, in diesem kleinen Bergland, diese unsichtbare Grenze verlief zwischen jenen, die sich vom Roggenbrot ernährten und den anderen, die sich am Weizenbrot labten. Während Italien seit jeher Weizenbrotland ist und in Deutschland die napoleonischen Truppen das weiße Brot schmackhaft machten, wehrten sich die Tiroler Bauern störrisch gegen die Besatzer von hüben und drüben – was sich auch im Festhalten der eigenen Brottraditionen wiederspiegelt.
Roggen oder Weizen ?
Doch es gibt auch eine nüchternere Erklärung für das Beharren auf das dunkle Mehl. Der Roggen ist widerstandsfähig und anspruchslos. Dieses Getreide hatte um ca. 800 v. Chr. als Unkraut seinen Weg nach Südtirol gefunden. Während Weizen, Gerste, Hafer und Buchweizen in den Städten für laufenden Nachschub sorgten, musste die bäuerliche Bevölkerung darauf achten, Lebensmittel lang haltbar zu machen. Unter dem Dach hortete die Bauernfamilie deshalb Korn und Mehl, aber auch getrocknetes Brot. Mus und kräftigende Suppen waren Bestandteil der täglichen Ernährung und konnten aus den Getreidevorräten leicht zubereitet werden. Das Brotbacken war hingegen langwierig und kraftraubend. Deshalb buk man in den Backöfen der Bauern nur zwei bis dreimal im Jahr Brot, das dann am Dachboden trocknete. Das Brot aus Roggen wurde in jeder Familie anders angereichert – mit Anis, Fenchel, Kümmel oder Koriander.